Brasilien

Freiwilligendienst in Brasilien

Arbeit mit Suchtkranken im Ausland

Mitten im Sommer landete ich in Curitiba / Parana und verbrachte die ersten 2 Wochen im Karmelitenkonvent, zur Vertiefung meiner Sprachkenntnisse. Daraufhin kam ich in das erste Haus der „Casas do Servo Sofredor“ (Häuser des leidenden Dieners), wo ich ca. 4 Monate blieb. Es war ein kleines Haus mit wechselnd 10 bis 15 Servos, so werden im weiteren die Süchtigen genannt, und einem Koordinator in der Nähe des Konvents. An dieser Stelle hole ich direkt ein wenig aus, um das System zu erläutern.

Die Suchtkranken werden, bevor einige dann ins Projekt kommen, zuerst für 1 ½ bis 2 Monate interniert, wobei verschiedene Geschichten Auslöser und Antrieb spielen. Diejenigen, die von der Straße kommen, kennen die Prozedur sozusagen aus der „Straßenszene“/ Mundpropaganda, und die meisten harten Fälle haben zumindest schon einmal darüber nachgedacht, besonders im Winter ...

Einige werden von Familienmitgliedern überzeugt und unterstützt, andere werden aufgegabelt oder kommen von einer Polizeidienststelle. Nach dem klinischen Entzug kommen die Servos in das erste und einzige Haus des „1. Schritts“. Hier bleiben sie mindestens 30 Tage, bis sie sich auf Arbeitssuche begeben möchten. Meist beginnt letztere ein paar Wochen später, bis man sich reif genug fühlt, das Haus zu verlassen, was natürlich immer Rückfallrisiken in sich birgt. So ist es auch unterschiedlich, wann jemand in eines der 5 Häuser des „2. Schritts“ wechselt, was dann nach ausführlichen Gesprächen mit dem Chef geschieht. Im „2. Schritt“ leben die Servos unabhängig, haben einen mehr oder weniger festen Job und zahlen lediglich eine Monatspauschale von ca. 70 DM für Unterkunft, Strom und Wasser. Hier können sie theoretisch bis zum Lebensende bleiben.
Soviel erst mal zur Reihenfolge.

Für mich waren die ersten 2 Monate keine leichte Zeit. Das lag an vielerlei Dingen, wie z.B. den anfänglichen Verständnisproblemen, der Respektverschaffung, Privatem und nicht zuletzt an der noch herrschenden Tagesordnung. Für den „1. Schritt“: 5 h aufstehen, 5.45 h Messe, 7 h Frühstück, dann Hausarbeit, wie Putzen, Aufräumen, Waschen, etc. und für den Rest des Tages, die anderen Mahlzeiten, Rosenkranzbeten, abends Fernsehen und die illegale Mittagspause ausgenommen, In-Sich-Kehren und Selbstreflexion. Meiner Ansicht nach waren einige indes längst nicht mehr in der Lage, dem nachzukommen, so dass statt dessen um so mehr geraucht und Chimarrao, eine Teeart, getrunken wurde. Der Chef aber beharrte auf dieser Theorie und duldete keinen Einwand, weil so die Rückfallquote schon gesenkt wurde – angeblich!? So unterhielt ich mich die erste Zeit viel mit den Servos, spielte Gitarre, schrieb lange Briefe und lernte die Sprache durchs Sprechen und nicht alleine auf meinem Zimmer.

Als im September die Rede von einem Neukauf eines Wäldchens, in dem Benediktinerschwestern ihre insgesamt 14 Häuser samt Kapelle hatten, kam kurz darauf schon mein erster deutscher Kollege Martin. Wir sollten bald umziehen. Es wurde mal von bald gesprochen, doch was heißt das in Brasilien schon. Weitere 3 Monate sollten bis zum Umzugstag noch vergehen ... So wird man geduldig.
Mit Martin verbrachte ich den Dezember auf dem Bau. Ein weiterer „2ter Schritt“ wurde gebaut. Bis wir am 27. Dezember das Stadtviertel verließen und uns im „Paradies“ einquartierten. „Mosteiro Monte Carmelo – Casas do Servo Sofredor“, so hieß die Anlage, im Folgenden nur Mosteiro genannt. Es hat sich vieles verändert, in erster Linie, weil es stets viel zu tun gab. Die Häuser befanden sich in zum Teil heruntergekommenem Zustand; der Wald und die Freiflächen waren verwüstet, so dass die ersten paar Monate allein mit handwerklichen Tätigkeiten hätten ausgefüllt werden können.

Im Mosteiro befanden sich nun der „1. Schritt“, 3 4 Servos eines „2ten Schritts“, die für die Umzugsstresszeit, als Fahrer und Rezeptzionist zur Verfügung standen und einige Brüder, auch aus Bolivien und Costa Rica, sowie uns zwei Freiwillige. Alle zusammen waren wir im Durchschnitt 35 Leute. Ich bekam ein tolles Zimmer; es war Sommer und wir hatten Spaß an der Arbeit.
Zu Beginn steckte ich meistens in Bau-, Installations- und Reparaturarbeiten, was nach einigen Monaten etwas abflaute, und ich begann Englischunterricht zu geben, Bananenstauden entlang unserer Territoriumsgrenze zu pflanzen, Chorproben auf Gitarre zu begleiten. Dabei kam ich einigen erheblich näher und kann sie jetzt als Freunde bezeichnen.
Entweder erledigte ich etwas mit einem Servo oder mit Martin oder im Extremfall zusammen mit 13 Leuten. Des Weiteren gab es einige Werkstätten, in denen der Bruder aus Costa Rica und 2 – 3 Servos jeweils Gipsfiguren anmalten, T-Shirts bedruckten, Schilder und Bilder malten sowie Holzschnitzereien anfertigten. Andere waren viel im Wald mit Sensen, Pflanzen, Aufräumen, Hacken, etc. beschäftigt oder widmeten sich halbtags der Religion. Auch in den pädagogischen Stunden kamen neue Erfahrungen hinzu.

Die sogenannten „Gefühlsgruppen“ fanden mittwochs vier mal statt, damit die Gruppen nicht zu groß wurden. Eine Psychologin leitete sie. Jede Woche wurde abwechselnd meditiert bzw. über Veränderungen, Gefühle und Hoffnungen während dieser Reintegrationszeit gesprochen. Einige konnten/ wollten in diesen Sitzungen gar nicht mehr aufhören zu erzählen oder brachten im Gegensatz dazu erstmals Worte ihres Schicksals über die Lippen. Allein für mehr Verständnis und Respekt gegenüber dem andern – gerade in so einer engen Gemeinschaft – haben sich die Gruppen als positiv für alle Beteiligten erwiesen. Die anonymen-Alkoholiker-Veranstaltungen wurden wieder eingeführt, einmal im Haus, für „1. Schrittler“ obligatorisch, und einmal außerhalb. Die meisten sind Alkoholiker, und die wenigen anderweitig Abhängigen nahmen auch teil, da sich die Probleme verschiedener Drogenmissbräuche ähneln. Hier sind sie unter sich, die Leiter lesen Literatur, die gemeinsam interpretiert und diskutiert wird, mit viel Raum, um bei Bedarf weiter ausholen zu können und persönliche Erfahrungen mit einzubringen.

Morgenmesse um 7h und Rosenkranz um 18 h stand mit an erster Stelle der Tagesordnung und freitags wurde seit Ostern der Kreuzweg, für den ein Servo alle Stationen auf Holz gemalt und weitläufig im Wäldchen aufgehängt hat, gegangen, gesprochen und gesungen.
Dann gab es noch die Küche, in der drei Servos eigentlich den ganzen Tag zubrachten, um zwei warme Mahlzeiten um 12h und um 19h und Kaffee um 8h und um 16h vorzubereiten. Der Hauptteil der Nahrung wurde durch Spenden gedeckt, und sie machten wirklich das Beste draus, so dass die Verpflegung, bei einer dezenter Bescheidenheit, kein Problem darstellte. Gespült wurde reihum, jeweils zu zweit. Genauso schnell war ich an das Waschen mit der Hand gewöhnt. Was höchstens im Winter, der in dieser Region ziemlich rigoros ist, nicht so die Wonne war.
Doch was war schon all das im Vergleich zu einem Rückfall. Auch wenn wir diesbezüglich abgehärtet wurden und verstanden, dass die meisten es erst nach einigen Anläufen schafften, blieb die Sucht ein Kampf bis zum Lebensende; dessen musste man sich zu jeder Stunde bewusst sein.

Im Nachhinein war die Zeit für mich sehr lehrreich. Ich sah Menschen, die nicht weiter absacken konnten und schon alles verloren hatten und durch äußerst glückliche Umstände noch mal die Chance auf ein Leben ohne Drogen bekamen.
Ein Dank an die Karmeliten für die Ermöglichung dieses interkulturellen Dienstes, an alle Servos und besonders an Martin Geier, der mir in dieser Zeit ein guter Weggefährte war.
Um Brasilien zu beschreiben, reichen Worte oft nicht aus; auch ein Schrank von Büchern wird seine Mannigfaltigkeit an Farben nur im Passivwinkel streifen ... Anno

Reiselustige schauen mal bei den ReiseTops nach, u.a. mit einem kompletten Online-Reiseführer zu Brasilien.

Hier findet man Näheres zu internationalen Freiwilligendiensten und auch solchen in Deutschland. Details hier ...

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