Am Totenbett

Bagdad-Bahn und Faisal

Der Kaiser im Dschiad

Bagdad- und Pilgerbahn

Teil drei. Hier geht´s zum ersten Teil und hier zum zweiten

Die Osmanen wussten um ihre Verwundbarkeit, spürten, dass alle in Wartestellung um den großen Topf herumhockten, um am "Kranken Mann vom Bosperus" Leichenfledderei zu betreiben. Also näherten sie sich dem Deutschen Reich an, das augenscheinlich keine territorialen Gelüste hatte, u.a. auch ihre Armee modernisierte und 1903 den Bau der Bagdad-Bahn von 2600 Km Länge zwischen Konstantinopel bis an den Persischen Golf sowie vom Schwarzen Meer bis nach Mekka, die sog. Pilgerbahn (Hedschas-Bahn), in Angriff nahm, ein Großprojekt finanziert von der deutschen Wirtschaft unter der Leitung des Ingenieurs Heinrich August Meißners, das dem Land stärkeren Zusammenhalt gäbe. Ja, Wilhelm II. zeigte sich sehr muslimfreundlich, kam 1898 zu einem Besuch, bezeichnete sich als Freund aller Muselmanen und schenkte den Türken sogar zwei moderne Kriegsschiffe, die "Breslau" und die "Goeben", wodurch die Türkei urplötzlich zur Seemacht wurde. Hintergrund war, sie nicht den Engländern in die Hände fallen zu lassen. Ausgeheckt hatte den Plan dazu Carl Humann, dem wir auf der Vorseite bereits begegnet waren.
Bei Kriegsbeginn versuchte das Deutsche Reich mit Hilfe der verbündeten Türken einen weltweiten "Dschihad" gegen Briten, Franzosen und Russland zu entfachen, um so Aufstände in den Kolonien von Engländern und Franzosen loszutreten und die deutsche Front zu entlasten. Hauptplaner des Heiligen Krieges, einem Flächenbrand von Marokko bis Indien durch hundert Millionen aufgeputschter Dschihadisten, war Max von Oppenheim aus der Familie des Kölner Bankhauses Sal. Oppenheim & Cie. Im November 1914 verkündete der Sultan dann tatsächlich den "Dschihad", und unter deutscher Planung, mit deutschem Kriegsgerät, wurden militärische Operationen durchgeführt, Putsche initiiert, Attentate und Sprengstoffanschläge verübt. Dazu gehörte es übrigens auch, muslimische Gefangene "umzudrehen", so dass 1915 im Halbmondlager bei Wünsdorf südlich von Berlin, die erste deutsche Moschee für Kriegsgefangene entstand.
Bagdad-Bahn

Bedieselte englische Schiffe, kohlebedampfte deutsche Pötte

Der Bau der Bagdad-Bahn alamierte die Engländer, denn anders als die kohlegetriebenen Schiffe des Kaisers fuhren die englischen bereits mit Öl, und den Treibstoff dazu gab´s in Mosul (engl. Mossul) und Basra. Ermöglicht hatte das Rudolf Diesel, dessen erster Motor 1897 erfolgreich lief; 1903 verkehrte das erste Schiff mit einem Dieselmotor auf dem Kaspischen Meer, 1912 waren mit seinem Motor angetriebene Ozeandampfer unterwegs. Im September 1913, ein Jahr vor Beginn es Ersten Weltkriegs, fiel er "zufällig" auf der Überfahrt nach England nachts über die Reling in den Ärmelkanal. Ob die Engländer dahintersteckten, um zu verhindern, dass die deutsche Marine seine Maschinen bekam, ist nicht bewiesen. Auch nicht, dass deutsche Nationalisten zu verhindern suchten, dass Frankreich und England Zugriff auf die neue Technologie erhielten oder dass gar die Ölindustrie dahintersteckte, weil er damals bereits über Bio-Diesel nachdachte. Auf jeden Fall ist eins klar: Der Zugang zum Öl war kriegswichtig geworden.

Suezkanal und Indien gefährdet - Spione und ein klasse Film

Im Süden der syrischen Stadt Aleppo hat die Bagdad-Bahn Anschluss an die Pilgerbahn (Hedschasbahn) nach Süden, nach Medina erstmal, so dass Pilger, aber auch Soldaten und Waffen in den Sinai befördert werden können. Die Briten fürchten, dass die Osmanen über die Bahn einen Angriff auf den Suezkanal unternehmen könnten, der ja grade parallel dazu im Westen verläuft. Das ist die Stunde der Spione und Abenteurer wie Gertrude Bell, orientbegeisterte Tochter eines britischen Stahlkochers, und dem durch den Film als Lawrence von Arabien bekannten Archäologen Thomas Edward Lawrence sowie einer Reihe weiterer "Archäologen", die sich nahe kritischer deutsch-türkischer Baustellen herumtreiben. Werner Herzog verfilmte ihr Leben in einer kitschigen Schmarotte, und wie man hört, mit einer grottenschlechten, unbeweglichen Nicole Kidman. Titel: "Queen of the Desert".
Meißner verplappert sich gegenüber Bell, und als die Briten erfahren, dass die Bahn bis Basra, wichtigste Hafenstadt des Landes, geführt werden soll, wo sie bereits eine Ölleitung besitzen, bieten sie sogar eine Beteiliung an den Baukosten an, sofern die Bahn in Bagdad ende. Die Belieferung mit Erdöl musste unbedingt gesichert werden. Basra liegt am Schatt al-Arab, nur hundert Kilometer vom Persischen Golf.

Vergeblich, die Deutschen bauen weiter. Während des Ersten Weltkriegs erobern die Engländer Basra, blockieren so den Nachschub für den Bau der Bahn vom Persischen Golf her und zerstören ferner bei Alexandrette (heute İskenderun, an der Mittelmeerküste der südtürk. Provinz Hatay) einen weiteren Zulieferhafen für die Bagdad-Bahn. Fortan muss das gesamte Material, jede Schiene, jede Schraube, per Bahn aus Deutschland herangeschafft werden. Besonders schlimm: Da mehrere Strecken wegen unfertiger Tunnel im Taurusgebirge fehlten, war alles mühselig zu entladen, auf Lasttiere über die Berge zu schaffen und neu zu verladen. Und das mehrmals auf dem Weg, bei Regen, Schnee und Eis.

Ein Nürnberger Haudegen, dürstende Soldaten und Loks, deutsche Kampfflugzeuge über den Pyramiden

Die Engländer befürchten zudem, die Deutschen könnten die Osmanen nutzen, um den Suezkanal anzugreifen und die Kontrolle über Ägypten zu erlangen. Und in der Tat: Das tun sie unter der Führung des Nürnberger Barons in osmanischen Diensten, Friedrich Kreß von Kressenstein, auf englische Stellungen am Suezkanal, werden aber zurückgeschlagen. Die Masse der Verteidiger des Kanals und damit zur Unterdrückung ihres Landes, sind indische Soldaten im Dienst der Briten, gleich noch mal Grund, um über die vorgenannte Identifikation mit dem Aggressor zu grübeln, denn nichts wäre logischer, als dass die Inder ihre Gewehre umdrehen, ihre englischen Offizieren erschießen und die ausbeuterische Nabelschnur nach Indien unterbrechen würden. Deutsche Flugzeuge umkreisen die Pyramiden von Gizeh.
Mit Hilfe von auf der Arabischen Halbinsel lebenden Beduinen, denen er später die Gründung eine großen arabischen Staates verspricht, beginnt Lawrence einen effektiven Partisanenkrieg mit vielen Sabotageakten gegen die Pilgerbahn, so dass die Türken ihre Truppen im Süden ihres Reiches nicht mehr versorgen können. Als 1917 z.B. der höchste Bahnhof der Stecke, El Modawara (Jordanien) samt Wassertanks zerstört wird, so dass die Loks kein Wasser mehr aufnehmen können und stillstehen, kommt es zu schweren Versorgungsmängeln in Medina. Die türkischen Soldaten versuchen, zu Fuß zu entkommen, wobei rund Hunderttausend verdursten. Späte Rache der Armenier, die sie selbst erst kurz zuvor in die Wüste getrieben hatten?

Akaba, Faisal I. und der Aufstieg der Beduinen

Lawrence hatte es mit seinen Sabotageakten nicht leicht, denn erst im Juni 1916 gelang es ihm, den wichtigsten Mann, Prinz Faisal, Sohn eines Beduinenführers in Mekka, später als Faisal I. König von Syrien (1920) und König des Irak (1921–1933), zu sprechen, um einen Guerillakrieg zu organisieren. Faisal hatte sich bereits arabischen Nationalisten angeschlossen, der al-Fatat. Sein Vater Hussein war ab 1917 König des Hedschas (westl. Arab. Halbinsel, also die Küste des Suezkanals entlang, wenn man so will) mit der Hauptstadt Mekka. Die Begegnung Lawrence-Faisal war der Beginn der Guerillataktik überhaupt. Lawrence nennt Damaskus als Ziel, Faisal verlangt die Unabhängigkeit nach dem Krieg, träumt von einem großarabischen Reich und fordert 100.000 Pfund Sterling pro Monat. Durch einen tollkühnen Überraschungsangriff fiel die Hafenstadt Akaba (Aqaba) an der Nordspitze des Roten Meeres, nur 150 km von der Bahnlinie nach Medina, in englische Hand, weil die Beduinen durch die Wüste von der Landseite her angriffen. Unterstützung erhalten hatte Lawrence vor Akaba durch den legendären Beduinenführer Auda abu Tayi. Einen Marsch durch die Wüste Nefud, um vom Rücken her angegriffen zu werden, nein, das hatten die Türken nicht für möglich gehalten. Die Kanonen auf der Festung standen somit in falscher Richtung, ließen sich nicht mehr einfach umdrehen bzw. auf die richtige Seite der Festung bringen und einsetzen. Diese Episode wird auch im Film Lawrence von Arabien eindrucksvoll dargestellt.
Damit hatten die Engländer einen Hafen zur Versorgung "ihrer" Beduinen erobert. Mekka und Medina im Hedschas gingen den Osmanen verloren. Im Herbst 1917 fiel auch Damaskus in britische Hand. Im Osten marschierten sie von Ägypten durch Palästina an der Küste nach Norden, die Beduinen entlang der Bahnstrecke paralell dazu weiter im Inland. Damit ist die fünfhundertjährige Geschichte der Osmanen in Palästina beendet. Als Damaskus fällt, sind Lawrence und Faisal auch dabei.
Im Jahre 1918 ist das Osmanische Reich besiegt, Basra frei von türkischer Herrschaft, so dass die britische und die des Öls voll einsetzen kann, erstere später abgelöst durch die amerikanische nach dem Zweiten Weltkrieg ... Die nachkolonialen Folgen tragen wir heute alle in der EU, von der ersten Flugzeugentführung in den Siebzigern bis hin zu London, Madrid, Charlie Hebdo, Paris, Berlin und ... ??

Das Großarabische Reich bleibt Schall und Rauch. Lawrence, ein großer Freund der Araber, konnte den Wortbruch Englands Zeit seines Lebens nicht verwinden, so dass er nach dem Krieg seinen Namen änderte und in der Anonymität verschwand. Man munkelt, er habe schließlich den Freitod durch einen Motorradunfall gesucht.

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(Fortsetzung folgt)