Lebensumstände in Bolivien

Medizinische Versorgung in der Region

Langsame Fortschritte der Entwicklungshelfer

Leben der Armen ohne die Medizin, ohne Technik

Auffallend viele Menschen leiden jedoch an Krankheiten: Einmal hatte ich Gelegenheit, gemeinsam mit den Missionaren und dem spanischen Identes-Freiwilligen Pablo, der mit Frau und Tochter in Santa Cruz seinen Freiwilligendienst verrichtet, in ein etwas größere Dorf (circa 1200 Einwohner) zu fahren.
Trotz der Größe dieses Dorfes stimmen die Lebensumstände mit denen Santa Rositas überein: Das einzige Telefon ist schon seit Jahren abgeschaltet, da die Bewohner eine alte Telefonrechnung von 70 $ nicht aufbringen können. Es gibt immerhin eine Krankenschwester, aber vor vier Jahren ist das letzte Mal ein Arzt im Dorf gewesen. Die Menschen können sich Reise und Behandlung in eine der größeren Städte in der Regel nicht leisten, und wenn die Krankenschwester etwas nicht behandeln kann, bleibt dies eben unbehandelt. Ein kurzer Spaziergang durchs Dorf (natürlich wurden wir in Kürze von einer großen Kinderschar und den neugierigen Blicken der Erwachsenen verfolgt) zeigte, dass auffallend viele Menschen an Geschwüren und Hautausschlägen leiden. Zufällig erwähnte Pablo im Gespräch mit der Krankenschwester, dass seine Frau Ärztin sei; diese ergriff direkt die Gelegenheit, um sie zu ihren schwersten Fällen, einem alten Herrn im Krebsendstadium und einer Frau mit den ganzen Körper bedeckenden Geschwüren und Verwachsungen zu führen. Da Pabla jedoch weder Medikamente noch sonstige medizinischen Utensilien dabei hatte, konnte sie für diese Menschen nichts weiter tun, als ihnen guten Mut zuzusprechen.

Die schlechte medizinische Versorgung und das Fehlen bestimmter Infrastrukturen prägen das Leben hier sehr; vor allem die Menschen in den „comunidades“ wissen, wie hart es ist, das tägliche Brot eigenhändig anzupflanzen und zu ernten; sie wissen, wie wertvoll die Genesung eines Verwandten oder Bekannten ohne ärztlichen Beistand ist und die meisten haben bereits ein oder mehrere Familienmitglieder durch Krankheit oder einen Unfall verloren. Das gemeinsame Teilen aller Freuden und Leiden innerhalb der Familie und der Dorfgemeinschaft ist fester Bestandteil des täglichen Lebens.
Mich beeindruckt die natürliche Einstellung zu Leben und Tod, zu Freud und Leid, zur Natur und vielen anderen Dingen, die sich die Menschen trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihres recht harten Lebens erhalten haben. Innerhalb der engen Grenzen ihrer Lebensumstände haben sie sich eine Offenheit und Herzlichkeit bewahrt, die ich bei den materiell gesättigten Menschen Europas oder Nordamerikas oft vermisst habe.

Inzwischen haben ich viele Freiwillige und Entwicklungshelfer kennen gelernt, die für begrenzte oder auch unbegrenzte Zeit in der Chiquitania als Ärzte, Lehrer, Ingenieure und Manager arbeiten und manchmal mit dem Wunsch kommen, die Lebensumstände der Menschen so schnell wie möglich zu verbessern. Bald müssen sie dann feststellen, dass Veränderungen immer langwierige Prozesse sind, die vor allem erst mal erfordern, die Mentalität der Menschen kennen- und schätzen zu lernen und ihre Erfahrungen und Wünsche mit einzubeziehen. Ein befreundeter, österreichischer Arzt berichtete mir zum Beispiel, dass er trotz seiner langjährigen Erfahrung in österreichischen Krankenhäusern bei seiner Ankunft in Bolivien aufgrund der fehlenden Ausstattung völlig hilflos den einheimischen Ärzten bei ihren Operationen zuschauen musste. Erst nachdem er gelernt hatte, auch ohne den technischen „Schnickschnack“ auszukommen, konnte er dann auch mal den ein oder anderen konstruktiven Verbesserungsvorschlag machen. Letztendlich, so meinte er, habe er von den Menschen vor Ort mehr gelernt, als sie von ihm. Diese Erfahrung teilen nicht wenige „Helfer“, die nach Bolivien kommen.

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