Ältere im Kibbuz

Aspekte der Industrialisierung

Ältere Menschen in der Industrie

Die Anfänge der Manufakturen in zahlreichen Kibbuzim hatten ihren Grund im Ausscheiden älterer Mitglieder aus der landwirtschaftlichen Arbeit. Die zunehmende Industrialisierung wandelte auch die Einstellung der Kibbuzmitglieder. Es wurde von allen akzeptiert, dass auch ältere Menschen ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz haben. Viele Fabriken in den Kibbuzim behalten Mitarbeiter ohne Altersschranken und versuchen, ihnen angemessene Aufgaben zuzuweisen.

In vielen Fällen entstehen Abteilungen, in denen junge und ältere Menschen zusammenarbeiten. Gleitende Arbeitszeiten, z.B. in der Kunststoffindustrie, die in den Kibbuzim sehr verbreitet ist, ermöglichen es den Pensionären, ihrem Tempo gemäß und unter angenehmen Bedingungen zu arbeiten. Der große Vorteil liegt darin, dass die Veteranen weiter das Gefühl haben, noch etwas zur Gesellschaft beitragen zu können. Dieses Gefühl, für andere von Bedeutung zu sein, ist gerade im Alter von großem Wert. Hinzu kommt die Tatsache, dass durch den täglichen Umgang mit jungen Menschen die älteren geistig gefordert werden. »Durch den Umgang mit euch, Jungs, bleibe ich selber jung!« hört man oft. Die Energie, die eine Gesellschaft für das Wohlergehen ihrer älteren Generation aufwendet, kann als ein Maßstab für ihre menschliche Qualität dienen.

Die Frau in der Kibbuzindustrie

Nach einer Studie des Verbandes der Kibbuzindustrie (K.I.A.) sind ca. 30 % der Mitarbeiter der Kibbuzindustrie Frauen. In der Landwirtschaft liegt der Prozentsatz geringfügig niedriger. Frauen sind sowohl in der Verwaltung, als auch in der Produktion gleichermaßen vertreten. Man fragt oft, warum es nicht mehr Frauen in der Industrie gibt. Die Antwort darauf ist nicht einfach. Sie hängt mit der Lage und der Rolle der Frau im Kibbuz zusammen. Die Möglichkeit dazu ist jedenfalls gegeben.

Kurzzeitmitarbeiter

Die Kibbuzim nehmen verschiedene Gruppen von jungen Menschen für kurze Zeit auf. Es sind vor allem Studenten des Ulpans (Hebräischsprachkurs), die Volontäre (Freiwillige) aus aller Welt, die Nahal-Pioniere der Armee (die während des Militärdienstes Grenzkibbuzim aufbauen) und Jugendliche im Rahmen des Sozialwerks »Chevrat Noar«, die aus problematischen Familien kommen und für vier Jahre in kibbuzeigenen Schulen untergebracht werden. Manchmal kommen israelische Schulgruppen auf ein paar Wochen. Der Kibbuz bietet den meisten die Möglichkeit, sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie zu arbeiten. Allerdings können nicht immer Stellen in der Industrie angeboten werden, wenn z.B. die fachliche Ausbildung fehlt. Bei Ulpan-Studenten und Volontären gibt es auch oft ein Sprachproblem. Daher sind ausländische Gäste oft nur für einfache Tätigkeiten einsetzbar wie beispielsweise in der Kunststoffindustrie mit ihrer Massenfertigung. Der Gast aus dem Ausland zieht eine Tätigkeit in der Landwirtschaft oft vor, um draußen in der Natur bzw. Farmatmosphäre zu sein. Die industrielle Wirklichkeit kann er auch in Europa oder Amerika bei sich zu Hause erleben. Allerdings gehört es zur Kibbuzerfahrung zu wissen, dass man überall im Kibbuz arbeiten soll, wie es die Situation erfordert. Manchmal kommen junge Leute aus dem Ausland mit speziellem Fachwissen, das im Kibbuzwerk zur Geltung kommen kann. Der Kibbuz bemüht sich, solche Fachkräfte in ihrem Beruf einzusetzen. Aber auch hier kann es vorkommen, dass die Landwirtschaft dringend Verstärkung braucht, und der ausländische Gast z.B. in der Orangenplantage eingesetzt werden muss.

Im Großen und Ganzen ist der Einsatz von Kurzzeitarbeitern in der Industrie problematisch. Saisonbedingte Schwankungen bei der Zahl der benötigten Arbeitskräfte kommen in der Landwirtschaft viel eher als in der Industrie vor. Daher sind die meisten Fabriken mit festem Personal besetzt. Es gibt Kibbuzim, die regelmäßig eine bestimmte Anzahl von Fabrikpositionen für ausländische Gäste freihalten. Der Besuch junger Menschen aus aller Welt bringt meist gute Laune und Abwechslung mit sich, worauf sich die Mitarbeiter freuen. Wichtig ist es, dass Gäste, die nur ungern in der Industrie arbeiten, dies rechtzeitig dem Verantwortlichen für die Gruppe mitteilen, so dass dem Volontär eine entsprechende Tätigkeit zugewiesen werden kann. Eine oft anzustellende Beobachtung ist die, daß die Gäste sich über die Kleidung der Direktoren wundern, da diese sich von der der anderen Mitarbeiter nicht unterscheidet. Die informellen Umgangsformen zwischen dem Mitarbeiter und dem Leiter der Fabrik überraschen Gäste immer aufs neue.
Für den Gast ist es häufig ein Rätsel, warum die Mitarbeiter Überstunden machen, obwohl sie keine Prämien oder andere Vergünstigungen erwarten. Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, muss man dabei sein und die Atmosphäre spüren, die ein solches Verhalten möglich macht.

Jedenfalls sollten die Gäste wissen, dass ihr Beitrag von den Kibbuzniks geschätzt wird, auch wenn sie es nicht mehrmals am Tag sagen. Es ist eine Eigenart des Kibbuzlebens, daß man einander relativ selten Komplimente über die Arbeit macht. Der Einsatz wird für selbstverständlich gehalten. Wenn der Einsatz aber fehlt, dann kommt ein kritisches Wort.
Die guten Worte hört man also mehr beim Abschied. Der Gast findet alles ziemlich aufregend, weil für ihn alles neu ist. Dem Kibbuzmitglied geht es um seinen Alltag. Daher gibt es manchmal eine unterschiedliche Beurteilung der ein und derselben Sachverhalte. Im Wesentlichen aber hat sich das System der Integration von Kurzzeitarbeitern bewährt, auch wenn seine Haupterrungenschaft in der menschlichen Begegnung und nicht in der ökonomischen Kalkulation zu sehen ist.

Schluß: Perspektiven

Die Industrialisierung des Kibbuz ist ein sozioökonomisches Phänomen, aus dem noch viel gelernt werden kann. Aus kleinen Reparaturwerkstätten sind in den Kibbuzim moderne Industrien entstanden. Eine Siedlungsform, die als landwirtschaftliche Einheit begann, hat sich durch die Industrialisierung zu einer Mischwirtschaft weiterentwickelt. Wird der High-Tech-Schwung der Industrie den gesellschaftlichen Anspruch des Kibbuz verdrängen? Es sieht nicht so aus. Wir beobachten in den letzen Jahren die Anstrengung der Kibbuzim, gerade durch neue Wege der industriellen Produktion zur ursprünglichen Idee der Selbstarbeit zurückzukehren. Die Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit haben beim Überleben des Experiments »Kibbuz« eine Schlüsselrolle gespielt. Wenn der Kibbuz auch künftig seine Fantasie mit seinem Organisationsvermögen verbinden wird, so dürfen wir mit neuen interessanten Varianten des Kibbuzlebens rechnen. Eines steht fest: auf den bisherigen Fleiß wird man auch in Zukunft nicht verzichten können!